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Der Mann im Bahnwärterhaus
Der Mann im Bahnwärterhaus
Ernst Kreuder
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Ernst Kreuder (1903—1972) wird seit seiner 1946 erschienenen, berühmt gewordenen Erzählung »Die Gesellschaft vom Dachboden« zu den wichtigsten, auch im Ausland bekannten Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur gezählt. Dieser Roman, wenige Monate vor seinem Tode vollendet, ist sein letztes Buch — das Vermächtnis eines modernen Romantikers, der vehemente Protest gegen die kahle Nur-»Sachlichkeit« verengter Techno- und Bürokraten, gegen die aufgenötigten Zwänge eines planen, platten Pragmatismus. Entschiedene Parteinahme für die Phantasievollen, Spielerischen, die »unangepaßten« Träumer — wider die »Praktischen«, »Vernünftigen«, die nichts als »Funktionierenden« — zeichnet auch dieses Kreuder-Werk aus. Der Erzähler, der »Ungenannte«, ein Schriftsteller, floh ins verlassene Bahnwärterhaus einer stillgelegten Strecke, wo er — bedürfnislos — ein zunächst beschauliches Leben führt. Dann aber beginnen die Verwirrungen: Hier und Heute gehen über ins Einst und Dort, unversehens kehrt wieder, was einmal war, wird Gegenwart, was erst noch geschehen soll. Der »Ungenannte« findet sich in fremdem Land wie an altvertrauten, aber Jahre nicht betretenen Plätzen — Gestorbene, längst Begrabene »erscheinen«, werden auf Tonbändern und im Telefonhörer vernehmlich, tippen mit Geisterfinger des Erzählers Schreibmaschinenbogen voll. Indessen, bei so viel Spuk fehlt nicht der »höhere« Spaß: Kreuder, einem E.T.A. Hoffmann vergleichbar, liefert seine Okkult-Gags nicht ohne verschmitztes Schmunzeln — geht es zunächst doch nur darum, den cleveren Zeitgenossen aus der Selbstgewißheit seiner Denkroutine aufzustören. Gegen das bornierende »Resopalbewußtsein« einer verabsolutierten Zivilisation erinnert Kreuder an die »herausfordernde Unbegreiflichkeit« des Alls, sucht er den unbezweifelten Glauben unserer Raum-Zeit-Fixierungen zu erschüttern (»Werft die Abreißkalender aus dem Fenster!«), ironisiert er den »Wahn« von der ein für allemal festgelegten Identität des »Ich«. Dem dumpfen Aberwitz der »Leistungsgesellschaft« setzt er den befreienden Aus- und Aufbruch seiner mutwilligen, doch friedfertigen Outsider entgegen. Dies alles fern jeder Esoterik, als der bildhaft-unmittelbare Erzähler von heute, der er immer war und blieb, in einer lebendigen, nahezu umgangssprachlichen Diktion, die unverwechselbar wurde und die — nicht zuletzt — dieses Buch zu dem macht, was es ist: ein echter Kreuder.
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